Leitideen
Neben der eigentlichen architektonischen Aufgabe erscheint es wichtig, sich der gesellschaftlich-kulturellen Bedeutung des neuen Berufskolleg-Campus für die Stadt Moers und den Kreis Wesel bewusst zu werden. Der Vergleich zu dem ehemaligen und heutigen Stellenwert der Zechen für die Ruhrgebietsregion drängt sich auf. Auch für den neuen Berufskolleg-Campus in Moers wird gelten, dass es mittelfristig in nahezu jeder Familie der Region ein Mitglied geben wird, welches hier auf die Berufsschule gegangen ist. Wie ehedem die Zechenareale den baulichen Maßstab ihrer Umgebung gebrochen haben und dennoch zu architektonisch/gesellschaftlichen Identifikationsorten geworden sind, wird dies in Zukunft für den neuen Berufskolleg-Campus in Moers gelten. Und in gleicher Weise, wie sich die alten Zechengebäude in ihrer baulichen Struktur als anpassungsfähig an funktionale und gesellschaftliche Änderungen bewiesen haben, soll den neuen Schulgebäuden eine Industriebau-ähnliche wandelbare Struktur aus ablesbarer statischer Konstruktion und ver- änderbarem Ausbau gegeben werden.
Vor diesem Hintergrund liegen dem Entwurf folgende Leitgedanken zugrunde:
- Vorbild für die „Körnung“ des städtebaulichen Entwurfs ist nicht die direkte Umgebung, sondern Tektur und Maßstab der Zechenarchitektur.
- Adressbildung und eindeutige Zuwegung über eine an der Repelener Straße beginnende zentrale Achse auf den neuen Campus.
- Ausarbeitung des neuen Zentralgebäudes als Identifikation stiftender Hauptbaukörper mit „Signetwirkung“ für den neuen Campus.
- Orthogonale Anordnung der Gebäude zueinander im Sinne einer auch alten Zechenarealen zugrunde liegenden funktional- tektonischen Grundordnung.
- Eindeutige bauliche Hierarchisierung:
Zentralgebäude, Berufskollegs, Sporthalle, Park- plätze/Nebengebäude.
- Urbane Anordnung der Baukörper zueinander mit Wege- und Platzfolgen.
- Im Sinne der Architektur als „dritter Pädagoge“ werden die Außen- und Innenräume als Folge von Wegen, Straßen und Plätzen entworfen, die Konstruktion als bewusst ablesbare Fügung des Tragen und Lastens und der Ausbau als additiver und somit austauschbarer Einbau entwickelt.
- Definition eines Katalogs weniger nachhaltiger Materialien: Beton, Backstein, Stahl und Holz Veredelung der Materialien durch Sorgfalt in der Fügung mit dem Ziel der Einfachheit, Langlebigkeit und guten Alterungsfähigkeit der Konstruktionen.
Städtebauliche Einbindung, Gebäude und Außenräume
Die Fahrverkehr - Erschließung des neuen Campus erfolgt wie vorgegeben von den beiden Knotenpunkten an der Repelener Straße. Der größere Teil des Individualverkehrs wird über die vorhandene Zufahrt an der Rheurdter Straße erfolgen.
Die Fuß- und Radwegeverbindungen über die Rheinberger Straße und die Hoffnungsstraße werden aufgenommen und in das Wegenetz des neuen Campus integriert.
Die Identität stiftende Adresse des Campus wird aus der Verlängerung der Straße „Am Schürmannshütt“ entwickelt. Den Auftakt bildet ein kleiner Platz an der Kreuzung, an den sich eine erste von insgesamt drei landschaftsbezogenen Parkierungsmulden an- schließt. Ohne Autos stellen diese Parkflächen Landschaftsobjekte dar, mit Autos verweisen die auf den oberen Ebenen sichtbar werden den Dächer der Autos auf den eigentlichen Zweck der Objekte hin. Mastleuchten auf den oberen Ebenen, die sich in gleicher Höhe auf den Vorplatz ausweiten, sind nicht nur funktionale Lichtelemente sondern verweisen auf die großmaßstäbliche städtebauliche Körnung des neuen Berufskolleg-Campus.
Die an der Hauptzuwegungsachse gelegene Parkmulde ist für den ÖPNV umfahrbar und endet zum Campus mit einer kleinen Sitzstufenanlage, welche wiederum zu einem erhöht angeordneten kleinen Basketball-/Freizeitplatz führt. Darunter, auf Straßenebene, wird ein „Mobilitätszentrum“ mit Fahrradverleih, Fahrradwerkstatt und kleinem Kiosk vorgeschlagen, so dass hier ein erster Ort des Verabredens, Treffens und Begegnens – auch außerhalb der Schulzeiten – entsteht. Das Freizeitangebot wird ergänzt durch das Biotop des sich nach Osten anschließenden Wasserbeckens auf dem Zentrumsplatz.
In der Gebäudehöhe gegenüber den Kollegge- bäuden leicht überhöht wird das Zentrumsgebäude entwickelt. Von Westen nach Osten durchwegbar und mit einem zentralen Luftraum stellt die Schulmensa im Erdgeschoß einen überdachten Platzraum dar, der bei gutem Wetter und zu Veranstaltungen zu den sich anschließenden Freiräumen geöffnet werden kann. Im Verbund mit der Sporthalle steht darüber hinaus ein Raumverbund für Messe- ähnliche Veranstaltungen zur Verfügung.
Um dem Zentrumsgebäude architektonische Präsenz zu verleihen und eine optionale Brückenanbindung zu den benachbarten Kolleggebäuden zu ermöglichen, ist das Erschließungssystem im 2.OG mit einem außen angeordneten Gang entworfen, was eine ruhige geschlossene Fassadengestaltung in diesem Bereich ermöglicht.
Wie beschrieben, wird die Anbindung der Kolleggebäude optional angeboten. Einem Campusgedanken, der von belebten Außenräumen zwischen den Gebäuden lebt, widersprechen solche Anbindungen. Auch die gewünschte Realisierung in Bauphasen spricht eher gegen bauliche Verbindungen. Dennoch ist alles so entworfen, dass auch zeitlich später realisierte Verbindungsbrücken der Kolleggebäude mit dem Zentralgebäude möglich sind.
Die Kolleggebäude sind dreigeschossig angelegt. Die dem Auslobungsgedanken näher liegende Zweigeschossigkeit würde zur Bebauung großer Teile des geschützten Landschaftsraums führen und wurde daher in Abwägung zwischen Bauqualität und ggf. aufwendigerem Genehmigungsverfahren verworfen. Die Schulgebäude behalten als Einzelgebäude ihre Identität mit jeweils eigener individuell geprägter Eingangszone und individuellen Gebäudedetails. Dennoch verweist ihre Bautektur, die Materialisierung und die als ein „Baukasten“ entwickelte Detailierung der Fassaden auf die Campusverwandtschaft.
Angedacht ist eine Unterscheidung der vier Schulgebäude in dem Mauerwerksverband und –relief, entgegen einer relieflosen Ausbildung der Mauerwerksverbände des Zentral- und des Sportgebäudes.
Die Schulgebäude sind – entsprechend der Herleitung der Leitidee – als dem Industriebau ähnliche Baustrukturen entworfen. Das einfache Zusammenspiel tektonischer Konstruktion und veränderbarer Ausbauelemente sichert bis heute die nachhaltige Nutzbarkeit alter Industriebauten des Ruhrgebiets und soll daher Maßstab sein für die hier vorgeschlagene neue Generation von Schul- gebäuden. Veränderbare Glasabtrennungen, Vorhänge und möbelartige Trennelemente tragen den veränderten pädagogischen Konzepten der Gegenwart Rechnung.
Um diese Raumkonfigurationen auch bau- ordnungsrechtlich umsetzbar zu machen, wurde auf Lufträume verzichtet. Die einzelnen Cluster sind zudem über je zwei Treppenhäuser erreichbar und entfluchtbar, so dass keine Fluchtwege durch benachbarte Nutzungseinheiten führen. Mit der weiteren Kompensationsmaßnahme von gebäudeüberwachenden Brandmeldeanlagen konnte der Verfasser solche Raumkonzepte auch ohne F30-Qualifikation der Flurtrennwände bereits umsetzen. Ausbauelemente sind durchgehend in schwer entflammbaren Materialqualitäten auszubilden.
Die Sporthallen bilden den westlichen Abschluss des Campus. Der Baukörper sichert durch seine Positionierung sowohl den Erhalt der Bestands-Sportanlagen als auch während seiner Bauzeit die Nutzung der Bestands-Turnhalle und des Bestandskollegs für Technik. Die Nähe zu den bestehenden Außensportanlagen ermöglicht die kurze Zuwegung aus den Umkleiden auch zu diesen Bereichen. Die niedrige Gebäudehöhe
des Sporthallengebäudes und die Durchlässigkeit des Grundrisses in West-Ost-Richtung unterstreichen den visuellen und physischen Bezug des Campus zum östlich gelegenen Landschaftsraum. Der vorgeschaltete Eingangshof vermittelt zwischen dem nördlichen Mensaplatz und der zentralen Verbindungsachse des Speisesaals, so dass die Sporthalle zu beiden Raumsituationen im Dialog steht. Nicht zuletzt „zentriert“ der Eingangshof die Sporthalle auch schon zu der Zeit, in der die Gebäude der zweiten Bauphase noch nicht realisiert sind. Die KFZ-Stellplätze werden als Landschafts-„objekte“ entworfen. Gebäudeähnliche Parkpaletten gilt es im Sinne der Campus-Wirkung der eigentlichen Gebäude zu vermeiden. Nicht zuletzt stellt die Lösung eine äußerst wirtschaftliche Unterbringung des ruhenden Verkehrs dar.
Ein neues Biomasseheizwerk wird im nördlichen Grundstücks-bereich an der Repelener Straße positioniert. Die Außenräume sind als Folge unterschiedlicher Erlebnisräume geplant, welche die bestehenden Atmosphären der Umgebung verbinden. Die Zwischenräume der Gebäude sind als urbane Platz- und Wegefolge mit harten, zur Landschaft leicht erhabenen sickerfähigen Pflasterbelagsflächen entwickelt. Das auf Sitzniveau angehobene als Biotop angelegte Wasserbecken des Zentrumsplatzes und die wassergebundene Fläche des „Parterre“ des Mensaplatzes zentrieren die Platzflächen und bieten Angebote zur Entspannung und Bespielung. Außerhalb des Campus-Ensembles wird das vorhandene Wegesystem aufgenommen und parkartig vernetzt. Hieran sind die Zuwegungen der KFZ-Parkmulden angebunden. Die projektierten einfachen Mastleuchten für die sichere und Vandalismus vorbeugende Beleuchtung des Campus nehmen Bezug auf den urbanen Charakter der alten Zechenareale des Ruhrgebiets.
Wirtschaftlichkeit und Energetik der Konstruktionen
Alle Baukörper sind kompakt entworfen. Die Dreigeschossigkeit der Gebäude ergibt wirtschaftliche Vorteile bei den Kubaturen und Hüllflächen gegenüber zweigeschossiger Ausführung. Alle Konstruktionen sind bereits jetzt auf wirtschaftliche statische Spannweiten und funktionale Ausbauraster hin entworfen. Bei den Schulgebäuden ist ein gerichtetes statisches System aus Unterzügen in Gebäudelängsrichtung und Rippen in Querrichtung projektiert.
Die Gebäudehüllen sind als selbst tragende Konstruktion mit ablesbaren Fügungen entwickelt, um kostenaufwendige Abfangungen zu vermeiden und die thermische Trennung von Hülle und Konstruktion bereits im Entwurf konsequent anzulegen. Das Baukastenprinzip der baukonstruktiven Details ermöglicht einen hohen Vorfertigungsgrad von Bauelementen, um Baukosten und –zeiten zu verringern. Die gewählten Hauptmaterialien Beton, Backstein, Metall und Holz sind regional und nachhaltig und führen mit einer sauberen baukonstruktiven Fügung zu einer Langlebigkeit der Konstruktionen. Das konsequente Vermeiden von Verbundkonstruktionen sichert durch die getrennte Recyclingfähigkeit dieser Baustoffe über die Lebzeit der Bauelemente hinaus eine Nachhaltigkeit der Bauunterhaltung auch für nachfolgende Generationen.
Für ein energetisch vernünftiges Maß an verglasten Fassadenflächen werden Fenster – außer von erdgeschossigen Räumen mit Kontakt zu „öffentlichen“ Außenräumen – durchgehend mit Brüstungen geplant. Die gewählten Fassadenmaterialien bedürfen mit Ausnahme der Glasreinigung keiner regelmäßigen Bauunterhaltung. Pflegefugen von Bauteilanschlüssen sollen durch konstruktive Lösungen und Fugenschlüsse aus dauerhaften Dekompressionsmaterialien vermieden werden.